Experte plädiert für freie Schulwahl
Der Bildungsökonom Stefan Wolter setzt sich für mehr Transparenz im Bildungswesen ein. Auch die freie Schulwahl hält er für eine gute Sache. Beides könne die Qualität und die Chancengleichheit verbessern. Bildungsökonom verfasste mit seinem Team den Bildungsbericht 2014.
Interview mit dem Bildungsökonomen Stefan Wolter
Hier ein Ausschnitt aus dem Interview in der Berner Zeitung vom 23. Mai 2014:
Stefan Wolter, befürworten Sie also auch Tests, Ranglisten und insgesamt mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Bildungsstätten?
Stefan Wolter: Rankings sind überhaupt nicht zwingend und auch nicht zielführend. Transparenz kann auch mit einem Bildungsmonitoring anhand von Stichproben erstellt werden. Nur ist es eben so, dass der Durchschnitt oft von wenigen «schwarzen Schafen» nach unten gedrückt wird…
Wie meinen Sie das?
Wenn eine Schule schlecht abschneidet, ist das meist kein Abbild eines generellen Zustands. Daher wäre es auch effizienter und gerechter, nur dort einzuschreiten, wo Minimalziele verfehlt werden, als das ganze Bildungswesen mit zu starken Regulierungen zu belasten. Dafür bräuchte man dann aber wieder Daten aus allen Schulen. Beispiele aus anderen Ländern zeigen zudem, dass, wo Transparenz herrscht, auch die gemeinsame Verantwortung an einer Schule von allen Lehrern viel stärker wahrgenommen wird. Man interessiert sich auf einmal auch für die schulischen Ergebnisse bei der Kollegin und nicht nur für die eigene Klasse.
Schulrankings stehen im Ruf, mehr Schaden anzurichten, als Nutzen zu bringen. Zu Unrecht?
Einfache Leistungsrankings sind tatsächlich wenig hilfreich und sogar irreführend. Wird hingegen der Lernfortschritt und nicht der Leistungsstand gemessen, können dies sehr wohl sinnvolle Informationen sein, auch ohne dass dafür Ranglisten erstellt werden müssen.
Transparenz ist also auch ohne Vergleichstests zu haben?
Ja. Hilfreich ist nur schon eine ausgeprägte Feedbackkultur, wenn sich Lehrpersonen gegenseitig im Unterricht besuchen.
Noch einmal zu den Rankings. Auf Hochschulstufe sind sie etabliert und mögen sinnvoll sein. In der Volksschule ist dies schon deswegen anders, weil Eltern ihre Kinder ja nicht an eine beliebige Schule schicken können.
Das ist tatsächlich ein Problem, weil sich die Schulwahl nur leisten kann, wer umziehen kann. In gehobenen Quartieren sind Bildungsbürger dann quasi unter sich.
In der Schweiz ist eine grosse Mehrheit gegen die freie Schulwahl.
Das hängt davon ab, welche Wahl man meint. Die freie Schulwahl zwischen öffentlichen Schulen würde wohl mehrheitlich begrüsst (Anmerk. elternlobby: Studie 64% begrüssen Schulwahl), und Personen mit tiefen Einkommen sind auch eher dafür.
Warum?
Wer seine Kinder heute in eine andere Schule schicken will, muss in eine Privatschule gehen oder umziehen, beides kostet viel Geld. Das können sich Familien mit geringem Einkommen nicht leisten. Bei einer freien Schulwahl zwischen öffentlichen Schulen könnten Eltern gerade in Städten und Agglomerationen dagegen heute schon zwischen vielen Schulen in allernächster Nähe auswählen. Die freie Schulwahl würde somit auch zu einem Instrument für mehr Chancengleichheit.
Würde unter den Wechseln nicht die Kontinuität und damit letztlich die Qualität leiden?
Die internationale Erfahrung zeigt, dass es nicht zu sehr vielen Wechseln käme, da alleine schon die Möglichkeit eines Wechsels die Schulen anspornt, stärker auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen.
Auf der Tertiärstufe ist die freie Wahl gegeben. Wählen nicht gerade deswegen viele Studenten Fächer, die schlechte Jobaussichten bieten? Ist nicht der freie Zugang zu den Studienfächern das Problem?
Die Wahlmöglichkeit ist nicht das Problem, die Wahl sollte aber bei einer transparenten Informationslage getroffen werden. Würde ein angehender Student konkreter erfahren, welche Arbeitsmarktchancen mit einer spezifischen Studienwahl verbunden sind, würde er sich vielleicht für ein anderes Fach entscheiden.
Man könnte auch einfach den Zugang beschränken via Numerus clausus…
Das halte ich als generelle Massnahme für unnötig und eine Überregulierung. Der Staat soll dort eingreifen, wo er viel in die Ausbildung investiert. Das tut er heute in der Medizin, in Kunst und Designstudienrichtungen oder beim Sportstudium. Das genügt derzeit.
Sie engagieren sich für Bildungsforschung. Von der Front ertönt oft der Vorwurf, die Bildungsbürokratie entwickle sich immer stärker zum Wasserkopf. Was sagen Sie dazu?
Für die Bildungsforschung stimmt das sicher nicht. Der Bildungsbereich hat relativ betrachtet wohl die geringsten Forschungsausgaben von unter einem Prozent der Bildungsausgaben. In der Industrie werden bis zu zehn Prozent Forschungs- und Entwicklungsausgaben des Umsatzes hingegen als normal und notwendig bezeichnet. Ob in der Verwaltung der Erziehungsdirektionen Luft ist, kann ich aufgrund der Datenlage nicht beurteilen.
Interview: Christoph Aebischer
Prof. Dr. Stefan C. Wolter
Prof. Dr. Stefan C. Wolter, Direktor. Bei der SKBF seit April 1999. Stefan C. Wolter hat Nationalökonomie und Psychologie an der Universität Bern studiert und ist Titularprofessor für Bildungsökonomie an der Universität Bern.
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